Mit Justyna Gaik spricht Roman Ostrowski
Wer sind Sie?
Eine Frau, eine Mama, eine Lebenspartnerin, eine in den Social Media aktive Person.
Und ein Instagram-Star … und seit Kurzem auch noch eine Schriftstellerin!
Was den Instagram-Star betrifft, weiß ich nicht, ob das nicht ein bisschen hochgegriffen ist, aber ich genieße diesen Job wirklich sehr. Denn trotz allem Anschein ist das Arbeit. Einige Menschen denken, dass man nichts anderes tut, als ein schönes Gesicht vor der Kamera zu zeigen – es sind aber viele Stunden, die beim Filmen, Fotografieren, Cutten verbracht werden … Solche Aktivitäten müssen kontinuierlich sein und eine Geschichte erzählen. Was die Schriftstellerin angeht, würde ich mich niemals so nennen. Ich bin die Autorin eines Buches, das von dem erzählt, was ich gesehen und erlebt habe. Ein bestimmtes, bereits abgeschlossenes Kapitel in meinem Leben, das ich vor dem Vergessen retten wollte. Für mich und für andere.
Wäre es nicht genug gewesen, Ihren Freunden und Ihrer Familie davon zu erzählen? Ich habe den Eindruck, dass heutzutage alle Bücher schreiben.
Und sie sollen es auch tun. Jeder hat sein eigenes Leben und seine eigene Geschichte. Ich habe kein Problem damit, dass jemand ein Buch über das schreibt, was er erlebt hat. Für mich war es ein natürlicher Gedanke, fast ein Reflex, etwas mit anderen Menschen zu teilen, was ich erleben durfte.
Und was haben Sie erlebt?
»Station Nummer Vier« ist eine belletristisch verarbeitete Geschichte über meine Erfahrungen, die ich während der Arbeit als Pflegerin in einem deutschen Altenheim gemacht habe. Ich bin dort gelandet, weil ich es wollte, weil es mich faszinierte. Ich wusste, worauf ich mich einließ. Es ist eine Herausforderung, mit alten, kranken, oft dementen Menschen zu arbeiten. Nicht jeder ist für diese Aufgabe geeignet und bestimmt sollte niemand diese Arbeit nur fürs Geld ausführen.
Waren Sie überzeugt, dass Sie für einen solchen Job geeignet sind?
Ich war überzeugt, dass ich es versuchen sollte. Für mich war es immer selbstverständlich und natürlich, anderen zu helfen und für sie zu sorgen. Ich mag es einfach. Ich genieße es, mit Menschen zu kommunizieren, insbesondere wenn ich ihnen helfen kann. Und darum geht es bei der Arbeit einer Pflegekraft. Für eine sehr junge Frau, wie ich es damals war, hat eine solche Arbeit die Gelegenheit geboten, durch die Wände des Ortes zu schauen, an dem Alter, Krankheit und Tod zusammenkommen. Ich wollte mich damit messen. Ich wollte sehen, ob ich mit schwierigen Situationen fertigwerden kann.
Und die meisten Menschen wollen die Existenz von Themen wie Vergehen und Tod aus ihrem Bewusstsein löschen …
Genau. Und ich wollte mir diese Welt anschauen. Egal wie schön, jung und reich wir sind, werden wir eines Tages alt werden und sterben. Es gibt keine Ausnahmen. Einige ein bisschen früher, andere etwas später. Ich wollte sehen, wie das Ende des menschlichen Lebens in einem modernen Land mitten in Europa aussieht.
Und wie sieht das aus?
Nicht schlecht. In meinem Buch gehe ich auf verschiedene Themen ein. Auch die Schwierigeren, die mit menschlichen Schwächen allgemein, aber auch mit Patienten und vielleicht besonders mit Betreuern zusammenhängen. Wir dürfen nicht vergessen, dass solche Arbeit äußerst anspruchsvoll ist und es leicht ist, einen Fehler zu machen, der vom Patienten und seiner Familie als Pflichtverletzung verstanden werden kann. Aber ich werde Ihnen nicht sagen, wie diese Arbeit aussieht, weil sie im Buch schon beschrieben ist …
Ich gebe zu, Sie haben es gut arrangiert. Sie zeigen die Arbeit in einem Altenheim, das in Ihrem Buch ›Station Nummer Vier‹ heißt, durch Ihr Verhältnis zu den Bewohnern … Haben Sie beim Schreiben dieses Buches Hilfe gebraucht?
Natürlich. Ich bin von Natur aus Perfektionistin und deshalb habe ich einen erfahrenen Schriftsteller um Hilfe gebeten. Es ist nichts schlimmes daran, dass jemand Feedback gibt und den Weg zeigt. Ein Buch zu verfassen ist nicht das gleiche wie ein Beitrag auf Instagram oder Facebook. Die ganze Handlung basiert auf den Porträts meiner Schutzbefohlenen. Im Alter werden wir zu echten Schatzkisten, Fundgruben. In dieser Tätigkeit hatte ich die Möglichkeit, menschliche Schatullen zu öffnen und in sie hineinzuschauen. Es hat mich jedes einzelne Mal sehr berührt. Diese Geschichte musste erzählt werden. Ich wollte es so sehr. Und wenn ich auf etwas bestehe und überzeugt bin, dass es wertvoll ist, ziehe ich das immer durch – so bin ich einfach.
Haben Sie eine universelle Botschaft für junge Menschen, die in Leben, Jugend und Konsum versunken sind?
Ich hoffe, mein Buch als Ganzes ist eine solche Botschaft. Wir alle tragen den Anfang eines Endes. Eines Tages werden wir gehen, wir werden nicht ewig leben. Deshalb sollten wir uns gegenseitig, den Planeten und die Umwelt mehr respektieren. Wir sollten lernen, uns selbst und anderen Menschen zu vergeben. Wie oft habe ich das Bedauern bei Menschen gesehen, die mit sich selbst, mit dem Leben, mit ihren Lieben nicht versöhnt waren. Ich möchte auch, dass die Menschen verstehen, dass die Entscheidung, die eigenen Eltern ins Pflegeheim zu schicken, ihre Vor- und Nachteile hat. Das sind schwierige Entscheidungen. Manchmal gibt es keinen anderen Weg. Aber es ist erwähnenswert, dass unsere Lieben von nun an von Fremden betreut werden, die ihnen niemals so viel Achtsamkeit oder Liebe schenken werden. Aber es ist wirklich sehr individuell. Einige Senioren treffen diese Entscheidung selbst, andere haben keine Familien mehr, noch andere wollen sie nicht mehr sehen … Wirklich, es gibt so viele Geschichten wie Menschen. Und vielleicht geht es in »Station Nummer Vier« eben darum.
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